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Titel
Im Schatten des Staatsmanns. Johanna, Marie und Marguerite von Bismarck als adelige Akteurinnen (1824–1945)


Autor(en)
Hopp, Andrea
Reihe
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe (30)
Erschienen
Paderborn 2022: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
550 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pauline Puppel, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Als „Schattengewächse“ oder „Geheimwaffen“ (S. 7) würden Frauen im Umfeld von Politikern wahrgenommen und dies gelte nicht nur heute, sondern umso mehr für historische Akteurinnen. Am Beispiel dreier adeliger Frauen aus drei Generationen, deren gemeinsamer Bezugspunkt „eine der Schlüsselfiguren der deutschen und europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (S. 8), nämlich Otto von Bismarck, war, analysiert Andrea Hopp Lebenswelt und Handlungsspielraum von Johanna von Puttkamer (1824–1894), Marie von Bismarck (1848–1926) und Marguerite Hoyos von Stichsenstein (1871–1945).

Zahlreiche Publikationen zu Bismarck liegen vor, allein: Die Ehefrau sei allenfalls als „Statistin“ (S. 10), Tochter und Schwiegertochter nahezu gar nicht wahrgenommen worden, so dass auch seine Biographie nach wie unvollständig sei. Denn nicht nur war der erste Reichskanzler prägend für die drei Frauen, auch sie waren nach Hopps Erkenntnis „für ihn unentbehrliche Bezugspersonen“ (S. 10).

Hopp fragt auf der Grundlage der archivalischen und edierten Überlieferung nach der Verknüpfung von individueller charakterlicher Prägung mit den Normen der Adelswelt in einer sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert transformierenden Gesellschaft. Sie untersucht die durch persönliche Prägung und schichtspezifische Werte formierten sozialen Praktiken. Alle drei verstanden sich nach Hopp als Angehörige einer Elite, die mit dem „Niedergang traditioneller Lebenswelten“ (S. 15f.) konfrontiert um den Statuserhalt rang. Die Verfasserin hat ihre ein Jahrhundert umfassende mikrohistorische Studie in zwei große Kapitel aufgeteilt: „Teil I: Mit dem Politiker leben“ (S. 29–300) ist der Ehefrau und der Tochter gewidmet und „Teil II: Mit dem Mythos leben“ (S. 301–496) der Schwiegertochter. Die Lebensgeschichten der drei Damen aus drei aufeinanderfolgenden Generationen dienen nicht nur dazu, ihren Bezug auf das Familienoberhaupt und damit auch auf die individuellen „Positionierungen zur Politik“ Bismarcks zu untersuchen, sondern sie sind auch ein Beitrag zur „Adelsgeschichte aus weiblicher Perspektive“ (S. 17).

Diese spezifische Perspektive legt Hopp frei, indem sie methodisch reflektiert die sich sprachlich manifestierenden Rollenbilder und Emotionen analysiert. Sie unterstreicht, dass insbesondere in der Sphäre des Adels die durch Erziehung und Vorbild erzeugte Internalisierung von Rollenerwartungen Verbaläußerungen und Comportement steuerten. An Sprechakten lasse sich aufzeigen, wie „sich eine politische Kultur verändert“ (S. 21), zumal wenn diese emotional aufgeladen seien. Hopp hebt hervor, dass die Briefe und Tagebücher keineswegs ein realitätsgetreues Abbild des Erlebten darstellen, sondern die Sicht der Damen auf ihre Umgebung sowie ihre individuellen Wahrnehmungen und Deutungen von Geschehnissen und Gefühlen in der schichtspezifischen Sprache widerspiegeln.

Johanna von Puttkamer stellt Hopp unter dem Titel „Einander lieben, miteinander hassen“ (S. 31–225) vor, da ihrer Erkenntnis nach beide Emotionen „Leitkategorien im alltäglichen Leben“ (S. 33) von Bismarcks Ehefrau gewesen seien. Ihre „mentale Ausstattung“ (S. 33) habe sie durch die Herkunft aus den hochkonservativen Kreisen landadeliger Gutsherrn Ostelbiens sowie durch den Pietismus erhalten. Stolz auf Stand und Status habe Johanna an den hochkonservativen Ungleichheitsprinzipien festhalten lassen. Freundschaften habe sie dennoch mehr mit bürgerlichen Frauen gepflegt, nach deren Frauenbild sie ihren Selbstentwurf geformt habe. Johanna habe sich ihrem sie oft belehrenden Ehemann untergeordnet, was sie durch Diminutive als „verbalisierten Demutsgesten“ (S. 65) gezeigt habe, aber sie habe auch ihre „Entscheidungshoheit“ (S. 63) behauptet und so sei sogar „Machtzugewinn“ (S. 67) zu verzeichnen gewesen. Die politischen Ansichten habe das Paar geteilt und Johanna sei „seine engste und vertrauenswürdigste Mitarbeiterin“ (S. 83) gewesen, die den „Rückzugsraum“ (S. 99), „ein von ihr um Otto errichtetes Bollwerk“ (S. 105) gegen die öffentliche Sphäre von Hof, Regierung und politischer Bühne schuf. Hopp arbeitet akribisch heraus, dass Johannas Temperament nicht zu seiner Entspannung beitrug, sondern sie mit ihren hasserfüllten Diffamierungen das häusliche Klima maßgeblich beeinflusste. Aber als „Geheimwaffe“ (S. 179) habe sie entgegen dem Rollenmodell für adelige Frauen ihrem karrierebewussten Ehemann auch die „radikale Stimme“ (S. 179) geliehen, wenn er aus politischen Gründen in der Öffentlichkeit zurückhaltender sein musste. Von den Kindern und Schwiegerkindern forderte das Arbeitspaar ununterbrochen Unterstützung.

Dies zeigt Hopp am Beispiel von Marie auf, deren Leben sie unter dem Motto „Familienzwänge und Adelsschranken“ (S. 226–300) vorstellt. Die Verfasserin zeigt anhand von Ego-Dokumenten zum einen die Spannungen zwischen den an Bismarcks Tochter gerichteten Erwartungen und deren eigenen Hoffnungen auf. Zum anderen konturiert sie das familiäre „System Bismarck“ (S. 224). Anders als ihre Mutter wuchs Marie nicht in der ländlichen Abgeschiedenheit auf, sondern stand früh im Rampenlicht der höfischen und städtischen Öffentlichkeit, was eine ständige Verhaltenskontrolle bedeutete. Hopp zeigt auf, dass auf die unbeschwerte Jugendzeit durch „geschlechtsbedingte Benachteiligung“ (S. 240) in der Ausbildung und aufgrund der weiterhin engen Bindung an das Elternhaus wegen der Pflege der kränklichen Mutter kein eigenständiges Leben folgte. Hopp unterstreicht, dass Marie humorvoll und wachen Geistes, sprachbegabt und „um die Erweiterung des eigenen Horizonts bestrebt“ (S. 242) gewesen, ihr Umfeld jedoch allen Versuchen der individuellen Persönlichkeitsentfaltung und möglichen Grenzüberschreitungen mit strikter Ablehnung begegnet sei. Marie habe die mütterliche Diktion ebenso übernommen wie den Standesdünkel. Auf den Tod des Verlobten habe sie mit tiefer Trauer und dann zunehmender Lethargie reagiert, bereits früh sei ihre „Resilienz“ nicht mehr „sonderlich ausgeprägt gewesen“ (S. 251). Der spätere Ehemann wurde, wie in Adelskreisen üblich, von den Eltern ausgewählt, und nach Hopps Erkenntnis „unverzüglich in den um den Reichskanzler rotierenden täglichen Arbeitsbetrieb eingegliedert“ (S. 257). Hopp kommt zu dem Ergebnis, dass Maries Lebenssituation ihr psychosomatisches Krankheitsbild und ihre Essstörungen hervorrief und sie sich in Abgrenzung zu den Eltern keine persönlichen Freiräume schaffen konnte. Damit verknüpft sieht Hopp auch Maries Ablehnung von weniger passiven Frauen und den Anspruch an die Ehepartner ihrer eigenen Kinder, der zum Bruch mit dem einzigen überlebenden Sohn geführt habe. Durch Maries enge Bindung an die Eltern hätten ihre Brüder mehr Freiräume genießen können, jedoch sei die Wahl der Ehefrau ebenfalls massiv bestimmt worden. Herberts Hochzeit stellt Hopp zutreffend als Politikum dar.

Am Beispiel von Bismarcks Schwiegertochter geht die Verfasserin der Verehrung des Reichskanzlers ab der Jahrhundertwende nach. Das Leben von Marguerite stellt sie unter das Motto „Adel verpflichtet“ (S. 303–496). Nach Bismarcks Entlassung widmete Herbert sich seinem Gut Schönhausen und Hopp zeigt auf, dass seine Ehefrau alle Aufgaben als Gutsherrin höchst akkurat erfüllte. Es war aber das museale Gedenken an ihren als genialen Helden verehrten Schwiegervater, das nach Hopp Marguerites Leben ausfüllte. Die Gräfin habe die Anforderungen der „Bismarck-Loyalität“ (S. 335) zeitlebens bewiesen, „swallowed up in the Bismarck family“ (S. 341) sei sie zur „Familienchronistin“ (S. 347), Grabungsleiterin und Gralshüterin avanciert, die den Zugang zu Museum und Familienarchiv überwachte. Marguerite habe die Wahrung des Andenkens als dezidierte Adelspflicht betrachtet und „Macht und Mythos“ (S. 353) der Dynastie in Szene gesetzt. Hopp unterstreicht Marguerites Bedeutung für die Bearbeitung des Archivbestands, den sie persönlich sortiert und ergänzt, darin recherchiert und daraus publiziert sowie als „Zeitzeugin“ (S. 421) sogar die Deutungshoheit auf dem „geschichtspolitischen Schlachtfeld“ (S. 419) historischer Forschungen über das Kaiserreich beansprucht habe. Als standesbewusste Frau sei Marguerite bis zum Ende der NS-Zeit dem Kaiser treu geblieben und habe aus Angst vor dem sozialen Abstieg konservative Parteien und Gruppierungen unterstützt. Hitler sei für sie wie für viele Adelige, die die Wiederherstellung der Monarchie herbeisehnten, Held und Hoffnungsträger gewesen; Hopp skizziert die Karrieren der Söhne und Schwiegersöhne nach 1933 und unterstreicht, dass Marguerite weder nationalsozialistische Adelskritik noch Konflikte innerhalb ihrer Familie über das NS-Regime thematisiert habe.

Die Verfasserin betont, dass Marguerite bereit war, „Ansehen und Namen der Bismarcks“ (S. 473) auch für die Legitimation von Maßnahmen gegen Juden zu nutzen. Beiden Teilen ihrer Studie ist jeweils ein Abschnitt über antijüdische Ressentiments adeliger Frauen beigefügt (S. 188–203, 426–437). Rassenterminologie weist die Verfasserin in Marguerites Briefen seit der Weimarer Republik nach, aber sie zeigt darüber hinaus den im konservativen Protestantismus und in der Aristokratie tiefverwurzelten Antisemitismus auf. Wie bei Marguerite brach die Judenfeindschaft sich nach Hopps Erkenntnis auch bei Johanna in den Momenten Bahn, in denen sie ihren sozialen Status gefährdet sah oder Illoyalität vermutete. Anhand der Sprachmuster zeigt Hopp auf, dass die Begriffe „Liberalismus“ und „Parlamentarismus“ sowie „Bolschewismus“ mit dem Judentum gleichgesetzt und in diffamierender Absicht zur eigenen Aufwertung verwendet wurden.

Andrea Hopp kommt das Verdienst zu, aus Bismarcks Schatten die drei Frauen ins Licht geholt zu haben, die ihm am nächsten standen. Sie zeigt die unterschiedlichen Charaktere der Persönlichkeiten auf: die hasserfüllte Ehefrau, die leidende Tochter und die anbetende Schwiegertochter. Mit ihrer lesenswerten Studie trägt sie zum Beleuchten bisher blinder Flecken in der Biographie Bismarcks ebenso bei wie zum besseren Verständnis der facettenreichen Lebensläufe adeliger Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Alle drei Akteurinnen wollten, wie Hopp akribisch nachweist, den nachwachsenden Generationen sozialisierendes Vorbild sein, ihnen tadelloses Auftreten und tiefes Pflichtgefühl als Ausdruck der adeligen Lebensform weitergeben. Selbst zu Standesbewusstsein erzogen, verteidigten die drei Damen daher die tradierten Vorrechte des Adels gegen die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufstrebenden bürgerlich-liberalen Positionen. Hopps Studie ist mithin nicht nur eine Sammelbiographie, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Adelsgeschichte.

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